In Deutschland gibt es zwar eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, an die sich jedoch niemand halten muss. Dass diese Selbstbeschränkung nicht funktioniert, kann jede(r) jederzeit erleben. Mit Recht verweigern die Versicherungen oft die volle Entschädigung, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Unfall aufgrund deutlich höherer Geschwindigkeit als der Richtgeschwindigkeit passiert ist. Denn zahlreiche Studien belegen: Je schneller Autofahrer unterwegs sind, desto häufiger kracht es.

Durch die große Unterschiedlichkeit der Geschwindigkeiten entstehen große Gefahren. Die Langsamsten fahren 80 km/h, die Schnellsten ca. 300 km/h. Es ist kaum möglich, von 250 km/h auf 80 km/h herunter zu bremsen, wenn plötzlich ein Lkw ausschert. Ein bis zwei Spuren sind ohnehin permanent mit "Tempo 100"-Fahrzeugen belegt. Und anstatt auf die Bremse zu treten, wird zur Lichthupe gegriffen.
Auch die Staubildung wird durch so unterschiedliche Geschwindigkeiten gefördert.

Deutsche sind für ein Tempolimit
Mehr als jeder zweite Deutsche ist für ein Tempolimit von 130 km/h auf der Autobahn. Das zeigt das ZDF-Politbarometer. Nur 41 Prozent sind dagegen.
zdf.de/nachrichten/politbarometer-zum-tempolimit

Rasen schadet der Gesundheit.
Ab 120 km/h steigt der Energieverbrauch eines Fahrzeugs proportional, denn der Luftwiderstand wächst extrem an. Das gilt auch für den Schadstoffausstoß! In einem Umkreis von fünf Kilometern rund um die Autobahnen verschlechtert sich die Luftqualität durch die höheren Geschwindigkeiten deutlich. Die Konzentration des Atemgifts Kohlenmonoxid steigt um 24%; bei Stickoxiden gibt es ein Plus von 16 und bei Ozon eines von elf Prozent.
Ein Tempolimit würde die Emissionen auf den Autobahnen um neun Prozent senken. Der bundesweite CO2-Ausstoß würde so um drei Prozent verringert.

Auch der Fahrkomfort würde durch ein Tempolimit erhöht: Wenn die Tempo-Unterschiede nicht so groß sind, führt das zu einem viel entspannteren Fahren, wie man z.B. in Holland oder Belgien feststellen kann.
In der Schweiz darf ohnehin nie schneller als 120 km/h gefahren werden. Strafzettel sind astronomisch teuer. Das Konzept scheint zu funktionieren – wer eidgenössische Autobahnen benutzt, findet eine äußerst disziplinierte Fahrweise vor.

Warum muss ein Mittelklassewagen über 200 km/h fahren, wenn 130 km/h der ideale Kompromiss zwischen Überholfähigkeit, Energieverbrauch, Schadstoffausstoß, Sicherheit und Fahrkomfort sind?

Derzeit bauen die Hersteller starke Motoren, um hohe Spitzenleistungen zu erzielen. Das wirkt sich natürlich beim Spritverbrauch aus. Ein Tempolimit wäre für die Autobauer ein Innovationsimpuls, spritsparende Fahrzeuge bzw. effizientere (Elektro-)Motoren zu bauen. Aber vielleicht ist gerade das von der Industrie gar nicht gewünscht.

Deutschland ist das einzige Land der Erde ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen.
In Deutschland kann ein Fahranfänger theoretisch direkt nach Erhalt der Fahrerlaubnis in einen Bugatti (neuerdings von VW gebaut) steigen und damit auf öffentlichen Straßen 400 km/h fahren – und das ohne Kenntnis des Fahrzeugs, der Fliehkräfte und ohne jede Erfahrung überhaupt!
Auch wenn viele gerne Schumacher wären – normale Autofahrer/innen sind in gar keiner Weise für dieses Erlebnis gerüstet, denn die allermeisten Familienväter, Manager und Möchtegern-Testpiloten sind nicht geschult und geeignet für den Hochgeschwindigkeitsbereich der heutigen Fahrzeuge.

Wenn man nun noch daran denkt, dass viele Fahrer/innen bei hohen Geschwindigkeiten auch noch telefonieren – allein dadurch wird das Gehirn schon überfordert. Hinzu kommen eine immer komplexere Unterhaltungselektronik, Rauchen, Schminken, Rasieren, Navi einstellen, intensive Gespräche, Kontrollblicke zu mitfahrenden Kindern etc.
Seit der Einführung von Smartphones steigen die Unfallzahlen wieder drastisch an.
Zwei Sekunden Unaufmerksamkeit bei Tempo 100 bedeuten 60 Meter Blindflug!

Warum Deutschland als einziges Land der Welt kein Tempolimit hat, muss wohl an der Übermacht der deutschen Autoindustrie liegen, die zusammen mit dem ADAC stets den Satz hochhält: "Freie Fahrt für freie Bürger". Der Slogan aus den 1970er Jahren scheint von zeitloser Gültigkeit zu sein.
Dieser Satz ist jedoch genauso unsinnig wie "Freiwild für freie Wilderer", "Freier Totschlag für alle" oder "Freie Fahrt auch im Stau". In Wirklichkeit bedeutet er jedoch "Freie Fahrt für starke Raser", nämlich Spätpubertierende, die der Autoindustrie ein teures Auto abgekauft haben.

Man kann nicht immer vernünftig sein. Also egal, wie unvernünftig es ist, ungeschulte Bürger/innen 250 km/h und mehr auf Autobahnen fahren zu lassen – wo die Auto-Lobby so mächtig ist und noch dazu vom ADAC unterstützt wird, kann sich wohl keine Regierung erlauben, den Menschen ihr liebstes Spielzeug zu limitieren. Obwohl an allen Ecken reglementiert, überwacht, betrogen und über den Tisch gezogen, beim "Fahrspaß" auf dem Abenteuerspielplatz "Deutsche Autobahn" ist der Bürger noch ein mündiger. "Freiheit" ist alles – auch wenn die allermeisten V8-Dienstwagenfahrer ihre Freiheit längst im Vorstand abgegeben haben und mit Höchstgeschwindigkeit auf ihren Burn-out zurasen.
Einsichtigere Zeitgenossen werden diesem Terror nun mal ausgesetzt, denn ein Tempolimit ist einfach nicht sexy im Land der angeblich besten V6, V8 und V12 Motorenbauer.
Es ist wie im Wirtschaftsleben: die Schwachen müssen es einfach hinnehmen, wenn die Hochgeschwindigkeitszocker der Finanzmärkte auf der Überholspur das Geld der normalen Bevölkerung verzocken, dazu ihre Arbeit und ihre Zukunft, ja sogar die ihrer Kinder und Enkel.